Ich lebe mit meiner Familie in einem kleinen Bergdorf zwischen Barcelona und Valencia im sonnigen Spanien. Es ist ein wunderschönes kleines Dorf, die Häuser wurden aus Steinen von der ehemaligen Burg aufgebaut, es sieht total pittoresque aus. Die Gassen sind eng, die Unterhaltungen laut und die Menschen sind die nettesten Menschen, die ich in meinem Leben kennenlernen durfte. Wir wohnen nicht durch Zufall hier, sondern weil es wunderbar ist.
Wäre da nicht die Klimakrise, würde ich sagen, es ist der perfekte Ort zu leben und alt zu werden.
In diesem Blogbeitrag erzähle ich dir von meinem Aufwach-Moment, in dem ich mit voller Wucht die Ausmaße der Klimakrise und wie sie mich und meine Elternschaft direkt betreffen können, realisiert habe. Ich berichte davon, wie ich auf die beängstigenden Gedanken gestoßen bin, dass meine Wahlheimat ein von der Klimakrise extrem gefährdeter Ort ist. Du erfährst, wie es mir damit ging und zu welchem Leben mich diese Erkenntnis heute führt. Spoiler: Emotionen über die Klimakrise können intensiv sein – dadurch kann aber auch die Einstellung zum Leben intensiver werden. Wie du mit starken Emotionen und Klimaangst umgehen kannst, darüber habe ich u.a. hier geschrieben. |
Wir katapultieren uns mindestens 1,5 Grad nach oben und verspielen 15.000 Jahre stabiles Klima
Es ist heiß hier im Sommer und es wird jedes Jahr heißer. Letzes Jahr hat es im März vier Wochen lang geregnet. Es war so viel Regen, dass die Bäume damit nicht klar gekommen sind. Das Resultat sahen wir letztes Jahr im September. Es ging auf die Olivenernte zu, eine unserer Haupteinnahmequellen als Familie. Normalerweise. Letztes Jahr nicht, denn es gab keine Oliven. Es war zu viel Wasser im März, die Oliven waren im Wasserstress, die Blüten ertranken quasi, und danach – kein einziger Tropfen. Wir hatten fast keine Ernte letztes Jahr und demzufolge auch kaum Einnahmen durch unser Olivenöl.
Auch das ist die Klimakrise. Sie sorgt für Extremwetterverhältnisse und wirft die klimatischen Bedingungen so durcheinander, dass die Pflanzen und Tiere (und am Ende der Kette auch wir Menschen) damit nicht mehr zurechtkommen.
Das Holozän, diese stabile Klimalage, in der wir leben, beenden wir aktuell unwiderbringlich. “Selbst wenn die Menschheit ab sofort kein CO² mehr ausstieße, würde sich die globale Temperatur langfristig noch um mindestens ein halbes Grad erhöhen.”, schreibt Ulrike Hermann in ihrem Buch “Das Ende des Kapitalismus” und ordnet so treffend wie schmerzhaft ein: “1,5 Grad klingen unerheblich, verbannen die Menschheit aber für immer aus der idealen Welt des Holozäns. Dieses Erdzeitalter begann vor rund 12.000 Jahren, nachdem die letzte Eiszeit geendet hatte. Es wurde nicht nur wärmer – sondern das Wetter war plötzlich stabil. Die Menschen konnten nun einschätzen, wie viel Regen fallen und wie warm der Sommer werden würde. Jetzt war Ackerbau möglich, und es ist wohl kein Zufall, dass die ersten Bauern vor 10.000 Jahren sesshaft wurden. Das Holozän hätte noch weitere 50.000 Jahre angehalten – wenn nicht der Kapitalismus dazwischengekommen wäre.”
“1,5 Grad klingen unerheblich, verbannen die Menschheit aber für immer aus der idealen Welt des Holozäns.”
Ulrike Hermann, “Das Ende des Kapitalismus”, S. 99
Die Folgen spüren und werden wir immer deutlicher spüren. In Deutschland stirbt der Wald ab. Hält man spezielle Mikrofone an die Bäume, hört man, wie sie nach Wasser schreien. Die Insekten werden jährlich weniger, Arten sterben rasanter aus, als wir sie benennen können. Die Windschutzscheiben der Autos bleiben nach einer Fahrt über die Landstraße viel zu sauber, bei einem Spaziergang ist es zu leise, die feld-brütenden Vogelarten sind mehr und mehr auf dem Rückzug. Ihnen fehlt die Artenvielfalt, die Insekten und mit den aussterbenden Vogelarten sterben auch Reptilien und die größeren Säugetiere. Wir leben “nicht nur” in der Klimakrise (als wäre das nicht schon genug): Wir befinden uns auch in einer Umweltkrise und in einer Biodiversitäts- (also Artenvielfalts-) krise. Und aus all dem wächst die Humanitätskrise (eher als Flüchtlingskrise bekannt), die Ärmsten werden noch mehr leiden unter den Bedingungen, die die Reichsten ihnen übergestülpt haben. Es entstehen Pandemien – und das ist nach der Coronakrise nun etwas, was uns allen ein Begriff ist und wo niemand, und sicher nicht Familien, eine Wiederholung sehen möchte.
Es ist viel, womit wir uns auseinandersetzen müssen. Wichtig ist, dass uns klar ist: Das sind keine gleichwertigen Krisen, und wir müssen eine nach der anderen abarbeiten. Es ist eher so, dass wir uns eine Bühne vorstellen können, auf der verschiedene Krisen stattfinden. Die Klimakrise ist nicht auf der Bühne, sie IST die Bühne. Wir müssen uns auch um die Krisen auf der Bühne kümmern, aber dringlich ist vor allem die Bühne selbst. Versteht sich von selbst, warum – ohne Bühne gibt es auch keine Probleme mehr.
Wenn der eigene Wohnort in der tiefroten Zone liegt
Die Zukunftsaussichten für unseren Herz- und Wohnort sind keine, die mich positiv stimmen.
Zusammenfassend wird es heißer, in Frankreich und auf der Iberischen Halbinsel kann die Temperaturzunahme sechs Grad Celsius übersteigen. In Nordeuropa nehmen die Niederschläge zu, in Südeuropa werden sie weniger. Hitzewellen werden häufiger, intensiver und dauern länger. In ganz Europa nehmen Starkregenereignisse zu.
“Insgesamt ist zu erwarten, dass vor allem der Süden Europas durch negative Effekte als Folge von Klimaänderungen betroffen sein wird. Besonders in mediterranen Regionen werden Wüstenbildung, Wasserknappheit und Waldbrände zunehmen.” ist das Fazit des Umweltbundesamtes.
Dass Wasserknappheit ein Thema bei uns sein könnte, wurde mir schmerzlichst im Jahr 2019 bewusst. Es war mein “persönlicher Klimakipppunkt”, ein Begriff, auf den ich später nochmal eingehen werden.
Mein persönlicher Kipppunkt war ein vollkommenes Erwachen darüber, was passieren könnte, wenn die Klimakrise in einem Ausmaß eintrifft, den wir heute die meiste Zeit erfolgreich verdrängen.
Er hat mich vollkommen erschüttert. Es geschah im Zug, ich war für drei Tage in Madrid auf einer Weiterbildung über pädagogische Ideen gegen das “Naturdefizit von Kindern”. Neben mir rauschte die trockene, karge Landschaft der Extremadura vorbei und drinnen saß ich, in den bequemen Sesseln des Schnellzugs Ave und mein Herz brach. Nicht unbedingt der beste Ort dafür, auseinanderzubrechen, aber so war es nun mal.
Die folgenden Zeilen habe ich 2019 geschrieben.
Mein persönlicher Aufwach-Moment:
Die letzten Seiten von „Die Geschichte des Wassers“ von Maja Lunde sind gelesen, ich habe das Buch verschlungen. Oder es hat mich verschlungen. Geschichten fesseln mich, seit ich klein bin. Ich bin dann in der Geschichte, ich bin DIE Geschichte. Ich werde Eins mit dem Buch und ich brauch ein paar Tage, um wieder zu meinem eigenen Leben zurückzukehren um mich wiederzufinden, in meinem Leben. In diesem Moment im Zug ist das Buch mein Leben. Die Geschichte im Buch ist meine Geschichte. Ich blicke auf das Jahr 2041 und sehe meine Familie, wie wir kein Wasser mehr haben, nichts zu trinken, nichts zu essen, um das blanke Überleben kämpfe. Meine Tochter. Unsere Tochter. Unsere weiteren Kinder? Ich will Schluchzen, Schreien, mich vor Schmerz vor dem Heute und Sorge vor der Zukunft weinend auf dem Boden wälzen. Keiner der Mitreisenden könnte meine Tränen wirklich komisch finden. Ich weine nicht nur um meine Zukunft, sondern auch um ihre. Meine Tränen sollten auch ihre Tränen sein. Wir sind alle im gleichen Zug. Unaufhörlich rasen wir auf eine große Katastrophe zu. „Wir müssen Wasser sammeln“, dachte ich. Große Zisternen. Wir brauchen Wasser. Ohne Wasser werden wir nicht leben können. Und mit Wasser? Wofür leben, wenn die Welt eine Wüste ist und aus Krieg besteht? Die Tränen laufen lautlos. Meine Augen laufen über, die Tränen bahnen sich ihren Weg über mein Jochbein und meine Wangen und tropfen in meinen Schoss. Tränenwasser. Trinkwasser. Meine Nase läuft. Nasenwasser. Wie kann es sein, dass nur ich es bin, die weint? Habe ich zu viele Gefühle, zu viel Kapazität in mir, den Schmerz über den Zustand der Welt zu spüren? Ist das Limit der Anderen viel niedriger, können sie nicht fühlen? Wollen sie nicht fühlen? Können sie nicht fühlen, weil sie nicht können, oder können sie nicht fühlen, weil sie nicht wollen? Es kann ihnen doch unmöglich gleichgültig sein, auf was wir hier zurasen. Climate breakdown. Ich starre aus dem Fenster. Braune spanische Landschaft. Ein paar grüne Flecken. Pinien. Olivenhaine. Wird es auch in zwanzig Jahren noch Olivenhaine geben? In fünfzig? Sind wir nicht total bescheuert, uns ausgerechnet hier niederzulassen? Warum gehen wir nicht nach Dänemark, Schweden, Norwegen. In die Wasserländer. Ich denke an meine Dreijährige Tochter, an meine lebendige, fröhliche, lachende, vor Lebensfreude sprühende Tochter. Was wollen wir denn hier? Spanien wird nie ein Wasserland werden. Vielleicht wird es den Ebrofluss in zwanzig oder fünfzig Jahren noch geben. Vielleicht habt wir Glück und sind nah genug an ihm dran, um von seinem Wasser gespeist zu werden. Darf man so überhaupt denken? So egoistisch? Machen das nicht alle? Sollten nicht die, die es schaffen, den Zustand der Welt zu begreifen, das Recht haben, in der Zukunft mehr Rechte auf Wasser und Essen zu bekommen? Wieso sollen die, die umweltbewusst und nachhaltig leben, durch die Fehler der rücksichtslosen Konsumenten leiden müssen? Wir sitzen alle in einem Boot, aber die Boote sind verdammt unterschiedlich. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Mit der Aussicht, aufgrund der Entscheidungen einzelner Großen einen Klimazusammenbruch zu erleben, den wir als Einzelner nicht verantwortet haben und gar nicht verantworten können. Und dann müssen wir noch mit der Aussicht leben, dass wir durch die Entscheidungen vieler Einzelnen kleinen Menschen noch viel schneller auf diese Katastrophe zusteuern. Wir entscheiden uns, auf welcher Seite wir stehen. Mit jedem Einkauf. Jeden Tag. Mit jeder einzelnen Plastikflasche, die mehr Erdöl verbraucht, um hergestellt zu werden, als sie Wasser als Inhalt fassen kann. Mit jedem Apfel aus Südamerika, der billiger ist als der lokale. Mit eingeschweißten Tomaten und vorgeschnittenen Kartoffeln. Mit fertig zurechtgeschnittenen Melonen, mit Saftpackungen. Mit jeder Plastiktüte, die wir nicht schaffen, zurückzuweisen. Mit jeder Fahrt mit dem Auto. Dem Flugzeug. Mit jedem Urlaub. Wir machen Urlaub von einem Leben, das unser Leben zerstört. Wir zerstören uns selbst. Das ist es, was ich herausschreien will, den Mitreisenden und jedem, der mir begegnet an den Kopf werfen möchte. Damit sie endlich begreifen. Damit wir alle gemeinsam aus diesem Hamsterrad aussteigen. Man erreicht heutzutage so einfach so viele Menschen. Ein Tweet, der viral geht und Hunderttausende Menschen lesen ihn und teilen ihn. Warum ist es so schwer, die Nachricht zu verbreiten, dass wir auf eine Sackgasse zusteuern? Was braucht es, bis Menschen begreifen? Und dennoch ist dieses Leben so wunderschön, die Natur, die uns umgibt, die Familie, unser jetziges Leben. Es ist zu schön, um nur in Zukunfts-Dystopien zu denken. Und dennoch muss auch das Platz haben. Wir dürfen die Augen nicht verschließen. Müssen aufwachen. Glücklich sein. Bewusst. |
Mit Kindern über die Klimakrise sprechen?
Ja, aber richtig!
Wie das geht? Das habe ich in einem kurzweiligen, empowernden E-Book geschrieben.
Hinter der Angst steckt die Liebe zur Welt. Und in ihr wiederum steckt die Kraft, die wir brauchen, um Veränderungen zu bewirken.
Joanna Macy
Es ist unmöglich, nur zu 80 Prozent zu leben
Ich las Maja Lunde “Die Geschichte des Wasser”, ein Roman über die Klimakrise. Er erzählt wie der Fluss Ebro kein Wasser mehr führt, die Menschen zu verdursten drohen und die Mutter und das Baby der Protagonisten in einem Feuer sterben. Ohne zu spoilern: Es war ein heftiges Buch. Für mich. Weil wir genau dort leben, wo es spielt.
Das ist Zufall, es ist immer noch ein Roman. Die Zukunft wurde noch nicht geschrieben!
Aber ich war danach wochen- und monatelang komplett erschüttert.
Das war 2019. Es war mein persönlicher Kipppunkt gewesen:
Ich war dort gewesen. War hinunter getaucht zum Grund des Eisbergs, um die Ausmaße der Klimakrise zu erkunden. Mir wurde in diesem Moment zum ersten Mal richtig bewusst, dass ich IN der Klimakrise lebe. Dass mein(e) Kind(er) damit aufwachsen und die Klimakrise sie ihr gesamtes Leben lang begleiten, beeinflussen und möglicherweise gefährden wird.
Wer einmal dort war, der kann nicht mehr zurück. So ist das mit Kipppunkten.
Wenn wir uns mit der Klimakrise auseinander setzen, Bücher lesen, Prognosen wagen, mit Menschen sprechen, tauchen wir den Eisberg hinab.
Das, was wir medial und gesellschaftlich gespiegelt bekommen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Das hinabtauchen macht Angst.
Wer sich traut, verändert sein Leben. Das Leben verändert sich. Die Sicht darauf. Die Handlungen.
Es ist so schön, da wo wir leben.
Ob es für immer ist, kann niemand sagen. Dennoch lasse ich mich zu 100% auf diesen Ort ein. Weil er mein Zuhause ist.
Niemand kann nur 80% leben.
Im nächsten Beitrag, der nächste Woche erscheint, erkläre ich dir, was die Klimakrise mit einem Eisberg zu tun hat und wie du dich auf die Ausmaße einlassen kannst. Das ist wichtig für deine Elternschaft in der Klimakrise, dein Verständnis, deinen Aktivismus und deine Kommunikation mit deinen Kindern. |