Im ersten Teil der Reihe “Elternschaft in der Klimakrise” ging es um meinen persönlichen Aufwachmoment. In diesem Blogartikel erkläre ich, was die Klimakrise mit einem Eisberg zu tun hat und wie du dich auf die Ausmaße einlassen kannst. Das ist wichtig für dein Verständnis und deinen Aktivismus. |
Die Klimakrise ist eine Wahrnehmungskrise, die Medien und wir scheitern täglich und kläglich daran, den Umfang korrekt zu vermitteln. Wenn man sich die Klimakrise als Eisberg vorstellt, steht nur die Spitze im alltäglichen Leben hervor. Sah man zum Beispiel im Hitzesommer 2022, der quer durch die großen Medienhäuser mit Bildern von Freibad-Spaß verkündet wurde. Die Verknüpfung zu tausenden Hitzetoten, zur erhöhten Aggressivität, zu gesundheitlichen Problemen, zur Nicht-Normalität und letztlich zur Klimakrise wurde von den großen Medienhäusern nicht gezogen.
So werden wir nur mit der Spitze konfrontiert, wissen zwar, dass es die Klimakrise gibt, aber das wussten Wissenschaftler*innen, Politiker*innen, die Industrie und auch die Öffentlichkeit auch im Jahr 1980 schon.
Nur wenige Menschen tauchen unter die Wasseroberfläche und blicken bewusst auf die Ausmaße der Klimakrise. Wenn du diesen Text liest, bist du wahrscheinlich eine*r davon. Ich möchte dich beglückwünschen, denn ich freue mich: je mehr wir sind, desto besser. Gleichzeitig möchte ich dich in den Arm nehmen, weil ich weiß: das ist verdammt schmerzhaft da unten. Schmerzhaft, weil wir mit Schuld und Scham konfrontiert werden. Mit Angst und Wut. Mit Emotionen, die wir (wenn wir klassisch-konservativ aufgewachsen sind) gelernt haben, zu verdrängen. Wegzuschieben. Nicht zu fühlen.
Wer einmal am Eisberg war und sich die Ausmaße angesehen hat, der kann nicht mehr zurück. So ist das mit Kipppunkten.
Jedes Mal, wenn wir uns mit der Klimakrise auseinandersetzen, Bücher lesen, Prognosen wagen, mit Menschen sprechen, tauchen wir den Eisberg hinab. Wenn wir Tränen laufen lassen, Schuldige suchen und wütend schimpfen, lernen wir mit dem Eisberg zu leben.
Das Hinabtauchen macht Angst, dennoch ist es notwendig. Aber wir haben die Kontrolle. Wir können uns darauf einlassen, in dem Tempo und mit der Intensität, die wir ertragen.
Wenn wir realisieren, dass die Klimakrise Teil unseres Lebens ist, verändert sich unser Leben
Wir kommen ins Handeln.
Wer sich traut, den Eisberg hinabzutauchen, verändert sein Leben. Das Leben verändert sich. Die Sicht darauf. Die Handlungen. Unser Umgang mit unseren Kindern.
Ich kann dir sagen: alles.
Die Klimakrise ist krass. Was sie mit uns macht, ist krass. Ich habe größten Respekt, dass du dich darauf einlässt.
Wirklich! Es ist wohl mit das beängstigendste, was wir uns im Leben stellen werden müssen und das schreibe ich, als jemand, der vier Jahre gegen Krebs gekämpft hat und dem Tod bereits ins Auge gesehen habe. Glaubt mir, Krebs ist scheiße. Die Klimakrise auch.
Weil sie
- kaum wahrnehmbar ist (CO2 sieht man nicht, der Himmel sieht so wunderschön blau aus)
- sie nicht unbekannt ist (wir wissen schon so lange von ihr, dass wir denken, sie gehört einfach zum Leben)
- die Gefahr nicht greifbar ist (wir fühlen uns nicht direkt bedroht)
- und sie nicht abstoßend oder unmoralisch ist (also schon, aber das ist so schwer zu begreifen, dass wir es nur schwer realisieren)
Diese vier Punkte braucht es, damit Menschen Gefahr erkennen: Einen Säbelzahntiger würden wir damit sofort entlarven. Er wäre eine unbekannt, überraschende, abstoßende und aktuelle Gefahr. Wir würden fliehen oder kämpfen, in jedem Falle wären wir in großer Aufregung.
“I want you to panic”, sagte Greta Thunberg und sie hat recht. Wir sollten Panik haben.
Doch weil wir Menschen sind und die Gefahr der Klimakrise für uns so schwer zu greifen sind UND wir in höchstem Maße soziale Wesen sind, die sich mit ihrer Reaktion an der sozialen Gruppen orientieren, bleiben wir ruhig. Weil alle ruhig sind.
Mit Kindern über die Klimakrise sprechen?
Ja, aber richtig!
Wie das geht? Das habe ich in einem kurzweiligen, empowernden E-Book geschrieben.
Ein stummer Schrei
Mein Blick wandert auf meinen Kaffeebecher, der vor mir auf dem kleinen Zugtisch vor meinem Sitz steht. Mein Kaffeebecher. Den ich extra gestern Abend mit den Worten: „Den nehme ich mit, damit ich mir morgen zwischendurch einen Kaffee kaufen kann“, eingepackt habe. Heute im Café habe ich der Frau an der Kasse erklärt, dass ich keinen Plastikbecher verwenden möchte und meinen Kaffee bitte in meinem mitgebrachten Kaffeebecher trinken möchte. Die arme Frau war von meinem Wunsch völlig überfordert, füllte meinen Kaffee zuerst in einen Plastikbecher und stellte ihn mir dann, sichtlich zufrieden, dass ich jetzt ja keinen Plastikbecher mitnehmen müsste, zum Umfüllen vor mir hin. Ich schwieg und schüttete den Inhalt des Plastikbechers in meinen Becher um. Sie warf den Plastikbecher weg. Ich blickte auf die Tassen hinter ihr und schwieg. Mein Schweigen fühlt sich in solchen Moment wie ein Schrei an. Ein riesig großer Schrei, den die Leute doch hören müssen! Aber nein, sie hören nichts. Ich verstehe diese Welt nicht, in der wir leben und ich denke, warum mache ich das mit? Ich sitze hier in diesem Zug. In diesem eiskalt gekühlten Zug, in dem ich mir eine Jacke angezogen habe, mir Socken anziehen musste und eine weitere Decke um meine Beine legen musste, während es draußen über dreißig Grad hat. Ich sehe zu, wie die Menschen im Café Strohhalme benutzen und ich sage nichts. Ich könnte auch zu jedem einzelnen hingehen, ihm in die Augen sehen und sagen: „Entschuldigung, ich möchte nicht unhöflich sein, aber wissen sie eigentlich, dass Plastikstrohhalme 4000 Jahre brauchen, bis sie sich aufgelöst haben? Beziehungsweise, dass sie sich nicht auflösen werden?“ Ich könnte zu der Person, die ihre halbvolle Plastikflasche einfach achtlos irgendwo stehen lässt, sagen: „Was denken Sie, wo wird diese Flasche landen? Wissen Sie, wie sie hergestellt wird? Wissen Sie. welche Ressourcen dafür verbraucht wurden?“ Ich könnte Aufklärung leisten. Jeden Tag. Jede Stunde, jede Minute. So oft fällt mir etwas auf. Ich würde mich wahrscheinlich sehr unbeliebt machen. Aber ich würde wenigstens etwas tun! Doch nein. Ich lebe mein Leben. So wie die Strohhalm-Menschen um mich herum. Beschäftigt das auch andere? Oder nur mich? |
Es gibt keinen Grund, ruhig zu sein.
Ich bin nicht ruhig. Ich bin seit 2019 in einem Unruhezustand, in einem Umbruch, der mich je nach Wellengang manchmal ziemlich hin- und herwirft. Denn: Ich mag das Leben. Ich liebe meine Kinder. Aber ob das Leben für meine Kinder wirklich gut sein wird, kann ich mir nicht sicher sein. Das kann mir niemand sagen.
Es hängt davon ab, ob wir auf die Wissenschaftler:innen hören, ob wir ins Handeln kommen. Ob jede*r Einzelne von uns das macht, was es braucht, um klimaneutral zu leben. Nicht einen Veggie-Day pro Woche machen und sich gut fühlen! Nein, Null Emissionen.
Im Moment ist ein Leben mit Null-Emissionen nicht möglich. Weil unser System nicht darauf ausgerichtet wäre, klimaneutral zu funktionieren. Deshalb können wir nicht klimaneutral leben! (Außer wir leben als Einsiedler*innen fernab der Zivilisation und versorgen uns selbst).
Wir leben in einem fossilen Welt- und Wirtschaftssystem und brauchen nichts weniger als einen systemischen Wandel. Gerade mal 17 Prozent der Emissionen können wir durch individuelle Einstellungen einsparen. Für die restlichen 83 Prozent braucht es politische Veränderungen. Die Mär, dass wir als Individuen ja so viel verändern könnten und es ja an uns selbst läge, das Ruder umzureißen, ist genau das – eine Mär.
Zurück zum Eisberg
Wie weit bist du schon an ihm heruntergetaucht? Bist du bis zu dem Punkt gekommen, an dem du voll und ganz realisiert hast, dass dein Leben in der Klimakrise stattfindet?
Wenn (noch) nicht, dann trau dich. Es braucht Menschen, die wach sind, um die Herausforderungen zu meistern, vor denen wir stehen.
Wenn du gerade am Fuße des Eisbergs bist, sei milde mit dir selbst. Gerade fühlt sich alles so drängend, so dringlich an. Das ist es auch. Dennoch braucht Wandel eine gewisse Zeit. Wir werden die Klimakrise nicht an einem Tag lösen. Wir brauchen einen sehr langen Atem. Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir gut auf uns achten. Wir müssen unsere mentale Gesundheit im Blick behalten, mit unseren Kräften haushalten und kontinuierlich kämpfen, ohne auszubrennen.
Wenn du an dem Punkt schon warst, wie geht es dir heute? Klimaemotionen kommen und gehen, sie kommen in Wellen – und damit wird auch unser Handeln und unser Aktivismus beeinflusst.
Lass die Wellen nicht ganz verebben. Wir brauchen die Emotionen, die Wut, die Angst und Sorge, um weiterzukämpfen.
Nach dem Eisberg ist vor dem Aktivismus
Ich habe mich 2019 gewagt, den Eisberg hinabzutauchen. Seitdem habe ich mich beruflich auf dieses Thema ausgerichtet. Ich habe unzählige Bücher zum Thema Klimakrise gelesen, hunderte Posts auf Instagram geschrieben, Blogartikel verfasst und mich jeden Tag auf die eine oder andere Weise mit der Klimakrise beschäftigt. Ich versuche, das mir möglichste tun, um die Klimakatastrophe zu verhindern.
Und das erhoffe ich mir von jeder:m, der es kapiert hat.
Kämpft.
Informiert.
Vernetzt euch.
Es gibt nichts wichtiger, als unsere Lebensgrundlage.
In der nächsten Woche geht es um Gefühle. Um Klimaemotionen und unseren Umgang damit – ein sehr wichtiger Punkt für eine Elternschaft in der Klimakrise. Wir können dann ein guter Fels in der Brandung für unsere Kinder sein, wenn wir selbst stabil sind. Lass uns darüber nachdenken, wie uns das gelingen kann. |
Beitragsbild: Annie Spratt/Unsplash